Das Beliebige, das Quodlibet – das ist das, was beliebt. Es ist eine Weise zu lieben:
Ursprünglich war das Quodlibet eine akademische Disziplin. Im 14. Jahrhundert war die «Disputatio de quodlibet» an der Universität von Paris jener Teil der wissenschaftlichen Verständigung, der der streng regulierten Disputation einer Thesis folgte. Auch das Quodlibet war reguliert, aber hier wurde Intellektualität festlich zelebriert, bunt, vielstimmig, mit wenig Hierarchie, feierlich, aus Liebe zur Sache, eben: wie es beliebt. Daraus entwickelte sich das Quodlibet in der Folge oft zur Persiflage, zur Humoreske, zum Nonsens, der im kunstvollen Verbinden von ansonsten unsinnigen und vulgären Einzelheiten bestand. So wurde es an der Universität Heidelberg 1558 offiziell verboten.
Das Quodlibet als Musikform kam in seiner eigentlichen Form in der Renaissance auf. Es entstand aus der Zusammenführung von zwei Musikstücken, die nichts miteinander zu tun haben. Es war eine Collage von Populärmusik, von Gassenhauern, banalen Sprichwörtern mit Elementen ernster, gehobener und sakraler Musik. Durch ihre willkürliche, improvisierte Zusammenführung ergab sich ein musikalischer Gewinn und eine Fröhlichkeit, die aus den Einzelstücken nicht ableitbar waren.
Das Beliebige, das Quodlibet, ist also nicht die öde, sinnlose Beliebigkeit des «es ist mir egal». In der Musik wie in der Wissenschaft setzt es gerade die genaue Kenntnis des Faches und der strengen Gesetze voraus. Es ergibt sich danach aus einer Entspannung. Das Quodlibet ist eine Erscheinung des afterglow.
So lässt das Quodlibet in Fröhlichkeit die Differenz von Leitkultur und Populärem, von Einheimischem und Fremdem hinter sich, es kennt, so Giorgio Agamben, nur das eine passende Prädikat: das «so». Allein die Beschreibung als «so» beugt ein Singuläres nicht unter eine allgemeine Kategorie, noch versetzt es das Singuläre in die Einsamkeit der Vereinzelung. Es liebt das Erscheinende mit und wegen allen seinen Eigenschaften.
So lässt sich das Denken des Beliebigen – d.i. die Beliebigkeit – verstehen als ein ein rezeptives Denken, ein anfälliges Denken: es ist ein Denken, das von den Kontingenzen der Sprache zart empfangen wird, es ist ein poetisches Denken, das das an sich wortlose Ereignen des Zwischenraums als ein ganz präzises «So» zelebriert.
Das Quodlibet zeigt sich so als eine kunstvolle Form der Kreolisierung. Edouard Glissant beschreibt den Vorgang der Kreolisierung als kulturelle Praxis, als das neue und unbekannte Dritte, das entsteht, wenn zwei Singularitäten sich begegnen und die gegenseitigen Gesten der Unterwerfung hinter sich lassen, sich für einander interessieren, beginnen zusammen zu improvisieren und in den bestehenden Verhältnissen in heiterem Gemüt stattfinden zu lassen, was sich im Zwischenraum neu bildet. Das sich dort Bildende ist ein bisschen wie die eigenen Kinder: keineswegs eine Mischung, völlig anders, als man es sich vorgestellt hat, aber deswegen kein bisschen weniger liebenswert. Man braucht, um diesem Dritten nah zu sein, mit ihm gehen zu können, so Glissant, ein «Denken der Spur».
Das Beliebige bewohnt so das Kontingente, das weder notwendig noch zufällig ist. Können wir uns das Kontingente aneignen, uns geeignet machen, es zu bewohnen, es zu unserer Lebensform werden lassen? Dann wird es das, was beliebt. Das Quodlibet, das Beliebige wäre dann das soziale Kontingente, das, indem wir es gerne bewohnen, sich als eine Weise zu lieben erweist.
So wird das Quodlibet – nachdem es eine Form der Wissenschaft und der Kunst war – der kommende Ton eines Zusammenlebens, einer Politik sein können.
Das kann man jetzt anfangen, wie Carolin Emcke sagte, darf man wohl immer wieder anfangen.
Literatur:
Giorgio Agamben: Die kommende Gemeinschaft, Berlin 2003
Carolin Emcke: Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2016. Text: online, Video: online
Édouard Glissant: Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit, Heidelberg 2015